Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Vertreter des VVN BDA,
sehr geehrte Vertreter aus Kirche, Politik, Kultur und Gesellschaft
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger!
der 27. Januar ist seit vielen Jahren ein zentraler Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Und seit vielen Jahren lädt die Große Kreisstadt Pirna gemeinsam mit dem Landkreis Sächsische Schweiz- Osterzgebirge ein um hier, an der Gedenkstätte Grohmannstraße, an das unermessliche Leid, das im Namen der Nationalsozialisten Millionen Menschen erleiden mussten, zu erinnern.
Am 27. Januar erinnern wir uns auch an die Befreiung des KZ Auschwitz, das wie kein anderer Ort für die größten Verbrechen in der zivilisierten Menschheitsgeschichte steht.
Der Schatten von Auschwitz liegt auch über unserer Stadt Pirna. In der früheren Heilanstalt auf dem Sonnenstein war 1940 und 1941 eine der ersten Tötungsanstalten der Nazis. Hier wurden fast 15.000 Menschen getötet. Die Erfahrungen, die hier gesammelt wurden, waren Grundlage für das industrielle Töten in Auschwitz und den anderen Konzentrationslagern.
Wie in vielen vorangegangenen Jahren halten wir heute, am 27. Januar, inne und erinnern uns, wie das Unfassbare in den 1920 Jahren begonnen hat.
Wie eine kleine Partei durch Populismus und Demagogie ein Gefühl „Wir gegen die da oben“ geschürt hat, wie Menschengruppen als Schuldige für tatsächliche oder vermeintliche Missstände gebrandmarkt wurden, wie rassistische und antisemitische Vorurteile ausgenutzt wurden.
Wir rufen uns in Erinnerung, wie auf dieser Grundlage die NSDAP demokratisch als stärkste Kraft in den Reichstag gewählt wurde, wie andere Parteien die NSDAP unterschätzten und deren Vorsitzender 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde und wie schnell dieser Reichskanzler einen auf Gewaltenteilung basierenden Rechtsstaat durch die Herrschaft der NSDAP ersetzt und eine Diktatur errichtet hat.
Wir haben die Bilder des Jubels der Massen vor Augen, die durch die Propaganda der Nazis das Bild einer Volksbewegung gezeichnet haben, einer Volksgemeinschaft, die den brutalen Umbau aller Strukturen scheinbar oder tatsächlich legitimiert und getragen hat.
Wir erinnern uns, wie schnell aus einer jungen, noch nicht wehrhaften Demokratie ein Terror- und Überwachungsstaat wurde, in dem die Verfolgung von andersdenkenden, anders lebenden, behinderten, jüdischen und vielen anderen, den Nazis nicht ins Bild passenden oder als Schuldige benötigten Menschen, traurige Realität wurde.
Wir erinnern uns daran, wie viele Menschen in dem System aktiv mitgemacht haben oder mitmachen mussten und wie im Ergebnis eine ganze Generation voller Schmerz, Wut, Enttäuschung, Ohnmacht, Schuld auf ein zerstörtes Land, Millionen Tote und die gemeinsame Verantwortung für diese Verbrechen zurückblicken musste.
Auf der Grundlage dieser Erinnerungen entstand das Versprechen „Nie wieder Faschismus“. Viele Jahre war dieses Versprechen ein gesellschaftlich klares, unwidersprochenes, gemeinsames Versprechen. Viele Jahre war undenkbar, dass jemals wieder Entwicklungen möglich erscheinen, die das „Nie wieder“ in Frage stellen könnten.
Aktuell leben wir jedoch in einer Zeit großer Veränderungen und großer Herausforderungen. Wir erleben Positionierungen, die vor Jahren undenkbar erschienen. Wir hören Forderungen nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“, einem „Ende des Schuldkults in Deutschlands“ und erleben eine Sprache voller Hass gegen „die da Oben“ und „gegen das System“ und damit unseren Rechtsstaat.
Der Versuch, die Gräueltaten zu relativieren macht dabei mittlerweile nicht einmal vor dem Deutschen Bundestag halt. Nein, auch wenn die Zeit der NS Diktatur sehr kurz war, war diese historisch alles andere als ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte.
Der 27. Januar ist gerade in diesen Zeiten eine Einladung, nein eine Aufforderung, sich immer wieder daran zu erinnern, wie aus einer jungen Demokratie in kürzester Zeit ein brutaler Terrorstaat wurde.
Mit Blick auf diese Erfahrungen gilt es wachsam zu bleiben und im Sinne „Wehret den Anfängen“ gemeinsam gegen das Vergessen, gegen das Relativieren einzutreten und alles dafür zu tun, dass Faschismus, Diktatur, Unterdrückung nie wieder möglich wird.
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist unsere gemeinsame Verantwortung alles dafür zu tun, dass sich die Gräueltaten der Nazis niemals wiederholen können. Um dies zu verhindern, braucht es Demokratie, Rechtsstaat und ein, die Freiheit und die Vielfalt aller Menschen schützendes System. Lassen Sie uns weiter jeden Tag für eine offene, tolerante, starke, demokratische, vielfältige, respektvolle Stadt und Gesellschaft kämpfen, denn in einer solchen Gesellschaft hat der Nationalsozialismus und hat Faschismus keine Chance.
Markus Dreßler
Bürgermeister
Stadt Pirna